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BLOG FRIDAY mit Antje Schiffers


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Paula Modersohn-Becker Kunstpreis 2020: Nominiert in der Kategorie Hauptpreis

Antje Schiffers verfolgt in ihren Arbeiten einen partizipativen Ansatz: Sie reist weltweit, taucht in fremde Lebenswelten und Kulturen ein, schafft es, international Menschen für ein gemeinsames Projekt zu begeistern und ermöglicht ihnen die direkte Teilhabe und Mitwirkung am künstlerischen Prozess. Kunst wird zum Tauschgeschäft. Und die Tauschpartner werden über Bilder, Objekte und Erzählungen Teil des Kunstwerks selbst. Gemeinsam mit der Künstlerinitiative Myvillages betreibt Schiffers seit 2003 das Projekt des International Village Shop. Über dieses sehr flexible Ladenkonzept werden Produkte von der Fufu-Bowl bis zum Kartoffelbeutel vertrieben, die weltweit mit Dorfgemeinschaften dafür entwickelt wurden.

Antje Schiffers, Drei Feste und ein Schrank für ein Jahr, Oderbruchmuseum Altranft, 2020, Foto: © Barbara König

Interview mit Antje Schiffers

Antje, Du schaffst etwas, das die ersten Worpsweder Künstler nicht geschafft haben – ein Tauschgeschäft mit einem Bauern. Kunst gegen Lebensmittel zu tauschen, war in Worpswede nicht einmal Paula (Modersohn-)Becker möglich. Wie sieht dein Tauschgeschäft aus, und wie schaffst du es, weltweit Bauernhöfe für dein Kunstprojekt zu begeistern?
Antje Schiffers in der Landschaft beim Malen für ihr Langzeitprojekt "ich bin gerne Bauer und möchte es auch gerne bleiben"
Antje Schiffers, aus: Ich bin gerne Bauer und möchte es auch gerne bleiben, Oppenberg, Steiermark (AT), 2007, Foto: © Thomas Sprenger

Ich habe verschiedene Arbeiten auf der Idee des Tauschgeschäfts aufgebaut: Ich bin durch Italien beziehungsweise Russland, Kasachstan, Kirgistan und Usbekistan gereist und habe Bilder gemalt gegen Kost und Logis (bin in der Steppe, 2002, und Wie ich über Palermo nach Siena fuhr, 2000/01). Mich hat interessiert, welche Rituale sich mit den Gastgebern entwickeln, die ich in dieses Experiment verwickelt habe, was sie von mir erwartet haben, welche Vorstellungen sie vom Künstler haben, was ich bei ihnen lernen konnte, die gesamte gemeinsame Erfahrung, die durch diese Idee des Tauschgeschäftes entstanden ist.

Die Tauschgeschäfte mit den Bäuerinnen und Bauern sind ein Langzeitprojekt, das ich seit 2000 verfolge: Ich biete ihnen an, ihren Hof zu malen im Tausch gegen einen Film, den sie, die Bauern, filmen und kommentieren und in dem sie das von ihrer Arbeit und ihrem Alltag zeigen, was sie zeigen möchten. Zurzeit, 2020, enthält das Archiv von Ich bin gerne Bauer und m.chte es auch gerne bleiben 39 Filme. Weil ich eine Woche auf dem Hof stehe und male, geben die Bauern Arbeit und Intensität in ihre Filme. Der Reichtum dieses Archivs ist seine Vielstimmigkeit, die Vielfalt von möglichen landwirtschaftlichen Betrieben, aber auch von Erzähl- und Bildformen.

2018 hast du im Rahmen des Projekts »Kaleidoskop Worpswede. Kunstwerk, Landschaft, Lebensort« auch einen Hof in der Worpsweder Region gewinnen können. Um welchem Hof aus dem Landkreis Osterholz handelt es sich und an welchen Momenten durftest du teilhaben?
Myvillages (Kathrin Böhm, Wapke Feenstra und Antje Schiffers), Setting the Table: Village Politics, Whitechapel Gallery, London, 2019, Foto: © Wapke Feenstra

Ich war mit der ganzen Familie bei Hans und Iris Lütjen-Wellner im Teufelsmoor zu Gast. Thomas hat beim Filmen geholfen und den Film geschnitten, Iwan mit dem Sohn Fußball gespielt. Zwei Familienbetriebe kamen zusammen. Ich habe so früh mit dem Malen begonnen wie Lütjen-Wellners mit dem Stalldienst. Immer gegen neun gemeinsame Kaffeepause. Wir waren zur Konfirmation der Tochter eingeladen und hatten überhaupt eine heitere Zeit.

Hans wusste es zu schätzen, dass man den Traktor auf dem Gemälde genau erkennt, ein Massey Ferguson. Die Mutterkühe und Kälber kamen auf die Weide, eine sehr körperliche Arbeitsphase nah am Tier.

Ein Kunstwerk von dir zu kaufen, ob privat oder für eine öffentliche Sammlung, ist gar nicht leicht. Die Gemälde der Höfe bleiben am Entstehungsort, und die Videos werden Teil deines Archivs. Aus deinem zweiten Langzeitprojekt kann man jedoch verschiedene Produkte erwerben. Das ist sogar Teil des Konzepts. Wer und was steckt hinter der Künstlerinitiative Myvillages?
Antje Schiffers, Die International Schnapsbar von Myvillages: illegale Brände aus aller Welt, Foto: © Wapke Feenstra

2003 habe ich gemeinsam mit Wapke Feenstra (Rotterdam) und Kathrin Böhm (London) die Künstlerinitiative Myvillages gegründet. Es ging und geht uns darum, die kulturellen Hierarchien zwischen Stadt und Land in Frage zu stellen und den ländlichen Raum als Ort kultureller Produktion ernst zu nehmen. Eines unserer langfristigen Projekte ist der International Village Shop, ein Laden, der für eine Stunde öffnen kann oder dauerhaft geführt werden, in der Dorfkneipe ebenso wie im Museumskontext. Laden kennt jeder, der Laden ist ein sehr inklusives Konzept.

Der nächste Internationale Dorfladen ist im Kunstverein Springhornhof in Neuenkirchen, rund 70 km von Worpswede entfernt. Was genau erwartet den Besucher dort?

Der Laden im Kunstverein Springhornhof ist sicher der kompletteste unserer drei permanenten Läden (die anderen beiden befinden sich in der Gaststätte Timmer in Ohne, Grafschaft Bentheim, und im Konsum des russischen Dorfes Zvizzchi). Im Laden finden sich Produkte, die wir mit Dorfgemeinschaften weltweit für den Laden entwickelt haben, basierend auf dem, was da ist: Ressourcen, Fähigkeiten, Produktionsmöglichkeiten, Interessen, Narrationen.

Jede Ware erzählt etwas von dem Kontext ihrer Produktion: Der Caravan Pot erinnert an einen Akt der Selbstermächtigung der Rentner von Ballykinlar in Nordirland. Die Fufu-Bowl aus Ekumfi Ekrawfo in Ghana basiert auf der Nachahmung einer asiatischen Wickeltechnik, die wir uns per YouTube-Video beigebracht haben. Der Kartoffelbeutel aus Neuenkirchen bietet die ideale Lagerung für Kleinmengen von Kartoffeln: stockdunkel. Das Dorf Ohne hat mit uns ein großes Flachsfeld angelegt für die Produktion von Ohner Leinen. Der Beestachtige Schat aus Beetsterzwaag in den angelegt für die Produktion von Ohner Leinen. Der Beestachtige Schat aus Beetsterzwaag in den Niederlanden ist mit der Geschichte des Torfabbaus und dem damit einhergehenden sozialen Ungleichgewicht verbunden.

Antje Schiffers, Flachsernte, Ohne, Niedersachsen, 2010, Aus dem Langzeitprojekt: International Village Shop (seit 2007), Foto: © Thomas Sprenger

Du möchtest mehr Einblicke in die Ausstellung zum Paula Modersohn-Becker Kunstpreis 2020 bekommen? Die Online-Kuratorenführung gibt es demnächst auf unserem YouTube-Kanal.

Einführungstext und Interview: Gesa Jürß, Worpsweder Museumsverbund

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